Meeting of Styles
Bericht: WK . Wiesbadener Kurier . 17.06.2023
Wolfgang Wenzel
Am Samstag startete das Graffitifestival in Mainz-Kastel und lockt internationale Künstlerinnen und Künstler in die Stadt. Wie es bisher läuft und was noch Sorgen macht.
Mainz-Kastel. Halbzeit beim Graffiti-Festival „Meeting of Styles“: Die neuen Bilder sind noch nicht fertig. Die Produktion läuft jedoch auf hohem Niveau, in der
Graffiti-Galerie unter dem Hochkreisel. Für den spanischen Spray-Künstler Raul Ruiz beginnt der Arbeitstag um Acht. Da setzt er den ersten Strich für ein monumentales Erzeugnis an einer Eckwand,
die dem Rhein zugewandt ist. Das Bild zeigt zwei Menschen, die sich innig umarmen.
Diese Geste entspricht dem Geist des Festivals in besonderer Weise. „Wir wollen nicht nur Bilder machen, sondern Menschen erreichen“, sagt Kurator Manuel
Gerullis.
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Und die finden sich in Scharen ein, umlagern die Künstlerinnen und Künstler, die dem Tunnel das Ambiente einer riesigen Werkshalle geben. Haushohe Gerüste stehen an
den Wänden. Auf Leitern geht es hinauf, bis fast unter die Decke. „Es ist Arbeit“, sagt Gerullis.
Verschiedene Stile und Motive vereint
Besonders eine „Female Wall“ für feministische Graffiti hat es dem Publikum angetan. Hier sprühen Graffiti-Künstlerinnen Frauenporträts, die einem später beim
Vorbeigehen wie Wegbegleiter ins Auge stechen. Das Festival beschränkt sich nicht auf den Hochkreisel, sondern macht Ausflüge in die Umgebung. Ein zweiter Schwerpunkt ist eine neue Wand um
die Ecke am Kransand. Hier entstehen Bilder, die thematisch ein weites Spektrum umfassen, von der Antike bis den 1950er Jahren. Etwa mit der Interpretation eines Zyklopen, der nicht nur ein,
sondern drei Augen hat und in die Welt blickt wie Killroy, der von US-Soldaten entworfene Urahn der Graffiti-Kunst. Ein anderes Bild zeigt einen sich vor Wonne sich auf dem Rücken wälzenden
Hund, das in der gleißenden Sonne entsteht. Eine Hausfassade in der Frühlingstraße wird zu einem dritten Ort der Urban Art. Hier ist Schatten, ein guter Platz, um einen kühlen Kopf beim
Manövrieren mit dem Farbstrahl aus der Dose zu bewahren.
Auch Musik darf nicht fehlen
Im Zentrum des Festivals dagegen geht es heiß zu. Bässe wummern in den Boxen, sie sind der akustische Treibstoff für die Kunst aus der Sprühdose. Einige
Sprayende präsentieren sich geschäftstüchtig, es gibt Kappen, Bilder und zu Kunstwerken veredelte Geldscheine aus Brasilien. Das Merchandising nimmt breiten Raum ein, es floriert. Graffiti-Kunst
gibt es nicht umsonst.Viel Publikum versammelt sich, das „Meeting of Styles“ entwickelt sich zu einer Bühne der HipHop-Kultur in ihrer Gänze. Eine Folie mit Schachbrettmuster wird ausgerollt, sie
ist die Bühne für Tanzvorführungen. Nebenan kämpfen Teams bei einem Basketball-Turnier um Sieg und Platz.
Viele Sprayende setzen sich über den Trubel hinweg. Sie sind hochkonzentriert in ihre Arbeit vertieft. Ansprache unerwünscht, zu sehr würden sie
zurückgeworfen beim Ausleben von Phantasie und Kreativität. Einige Künstler legen eine Pause ein, damit ihnen die Hitze nicht zu Kopf steigt. Nach einer Siesta geht es erst am Abend weiter. Zwei
Tage haben die Mitwirkenden Zeit, um ihren Bildern Schliff zu geben und den Prozess vom Umriss bis zum Finish abzuschließen. Am Sonntagabend geht das Meeting of Styles ins
Finale.
Unklarheit über Verbleib der Reduit
In diesem Jahr bekommt das Festival mit Europa-Gesinnung eine besondere Note. Der Partnerschafts-Verein Wiesbaden-San Sebastian ermunterte drei Kunstschaffende zum
Mitwirken an dem Spray-Ereignis. Zwei Männer, eine Frau. „Das wird keine Einbahnstraße, sondern ein. Austausch“, sagt Michael Linemann vom Vorstand. 2024 ist ein Rückbesuch von Wiesbadener
Sprayern in der nordspanischen Stadt geplant.
Über dem Graffiti-Festival liegt freilich ein Schatten. „Ohne die Reduit kein Meeting of Styles“, heißt es. Das Risiko, dass das Festival 2023 das letzte dieser Art
gewesen sein könnte, ist groß. Das Kinder- und Jugendzentrum leistet seit über 20 Jahren die logistische Arbeit. Es steht auf der Streichliste der Stadt, zusammen mit zwei weiteren
Jugendzentren in Biebrich und Klarenthal. Der scheidende Sozialdezernent Christoph Manjura (SPD) hofft, dass eine Schließung abgewendet werden kann. Sein Dezernat sei mit Sparvorgaben der
Kämmerei konfrontiert, mit über 25 Millionen Euro im Jahr. Ohne Kinder- und Jugendzentrum erlahme jedoch der ganze Kulturbetrieb in der Reduit und darüber hinaus. Die Reduit sei das
Mutterhaus von Töchtern wie dem Jugendpavillon Krautgärten und dem Eissalon in Kostheim.
Das Meeting of Styles sei aus der Stadt nicht mehr wegzudenken, mit seinen Ausläufern, Verästelungen und Kooperationen, sagte der Dezernent. Es sei ein
Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt, für Kunstschaffende wie für Betrachtende. Und für weitere Mitwirkende aus der Stadt; Am Freitag eröffnete eine Gruppe von jungen Leuten aus mehreren
städtischen Zentren das Festival mit einer Graffiti-Werkstatt an einer Wand im „kleinen Tunnel“ unter dem Hochkreisel. Eine super-Aktion, wie Beteiligte fanden. Es sei wichtig, das Wissen
von der Spraykunst an die jüngere Generation weiterzugeben, sagte Kurator Gerullis.